Das Museum Ostwall (MO) im U feiert in diesem Jahr sein 75-jähriges Bestehen. Ganz schön alt, dieses MO, aber sehr lebendig, vor allem, seitdem es im ehemaligen U-Brauturm angesiedelt ist. Die Museumsverantwortlichen möchten das MO noch weiter öffnen und für Gruppen der Stadtgesellschaft attraktiv machen, die das Museum bisher kaum ansteuern. Daher haben sie einen Beirat gegründet.
Seit 2023 trifft sich eine Gruppe von acht Menschen (in leicht wechselnder Besetzung), die sehr divers in Hinsicht auf Alter, kulturellem Background, Beruf und Interessen ist. Die Beiratsmitglieder wurden nicht gecastet oder ausgelost, sondern wegen ihres persönlichen Engagements in einem bestimmten gesellschaftlichen Bereich durch Museumsmitarbeitende ausgewählt. Ihre Mission: Vielfalt ins Museum bringen.
Im Beiratsraum, der mitten in der Ausstellungsfläche liegt und öffentlich zugänglich ist, werden aktuell verschiedene Künstler*innen vorgestellt, deren Kunstwerke dem MO für einen Kunstankauf vorgeschlagen werden. Eigentlich nicht üblich, aber hier wurde es gewagt: Der „Laien“-Beirat wurde gefragt, welches Kunstwerk im MO hängen soll.
Birgit Rothenberg, vor 41 Jahren Gründungs- und seit langem ehrenamtliches Mitglied im Vorstand bei MOBILE – Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. ist eines der Beiratsmitglieder und hat Künstlerinnen mit Behinderung vorgestellt und deren Werke für den Ankauf vorgeschlagen. Wie in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens sind Menschen mit Behinderung, noch dazu weibliche, in der Kunstwelt unterrepräsentiert.
Die Dortmunder Künstlerin Marion Weirauch hat sie bei einem Kunstprojekt der WAD (Werkstätten der Arbeiterwohlfahrt Dortmund GmbH) im KUNST ATELIER WERKSTATTARBEIT entdeckt. Bei deren Projekt „Tandem-Geflüster“ arbeiten jeweils Künstler*innen mit und ohne Behinderung für ein Ausstellungsprojekt zusammen. Tandempartner von Marion Weirauch war Peatc Voßmann, ein bereits renommierter Dortmunder Künstler. Ihr gemeinsames Thema, sehr unterschiedlich umgesetzt: „Tiere.“ Die entsprechenden Bilder von Marion Weirauch zeigen abstrakte fantasievolle Wesen in leuchtenden Farben. Die Figuren entstanden aus stark abgegrenzten Farbflächen. Manche ähneln mehr, manche weniger den echten Tieren, mit denen Marion Weirauch sich viel beschäftigt. Für ihre Bilder nutzt die Künstlerin unterschiedliche Techniken, sie zeichnet, malt und klebt je nach ihrer Vorstellung.
Eine weitere zeitgenössische Malerin, die von Birgit Rothenberg vorgeschlagen wurde, ist Mary Duffy, die in Irland lebt. In ihrem Atelier in Wicklow, direkt am Hafen gelegen, schafft sie kraftvolle Bilder, in denen sie häufig die irische Landschaft oder das nahegelegene Meer einfängt. Ihr Gemälde „Sea smash“ zeigt, wie der Atlantik mit voller Wucht an der Westküste Irlands aufschlägt. Auf ihrer Website (maryduffy.ie) zeigt Mary Duffy, wie ihre Gemälde, oft mit besonderen Farbmischungen aus kaltem Wachs mit Öl, entstehen: Verschiedene Farbschichten werden mithilfe ihres Fußes aufgetragen, manchmal mit Sand oder Asche versetzt, und während des Trocknungsprozesses zusätzlich bearbeitet, mal kratzend, mal aushöhlend.
Außer diesen zwei zeitgenössischen Künstlerinnen stellt Birgit Rothenberg außerdem Dorothea Buck vor, die von 1917 bis 2019 gelebt hat. Sie hat Skulpturen und Bilder geschaffen und einige Bücher geschrieben. Ihre Arbeit war geprägt von den Erlebnissen brutaler Behandlungsmethoden in der Psychiatrie, in der sie sich zeitweise wegen ihrer Schizophrenie aufhalten musste. Zeitlebens war Dorothea Buck eine Kämpferin für Selbstbestimmung, vor allem in psychiatrischen Einrichtungen.
Im Beiratsraum des Museums sind weitere Vorschläge der Beiratsmitglieder zu sehen. Das Museumsbesucher*innen können auch Ideen äußern, welche Kriterien beim Kunstankauf berücksichtigt werden sollten. Oder was sie selbst am liebsten ankaufen würden.
Welches Kunstwerk künftig im Museum Ostwall zu sehen sein wird? Dortmunder*innen dürfen gespannt sein. Die Entscheidung wird Anfang nächsten Jahres von Beirat und Museum Ostwall bekanntgegeben.
Noch mehr vom Beirat. Zusätzliche Impressionen aus Gesprächen mit Beiratsmitgliedern im Mai 2024
Notizen zu einem Besuch im Museum Ostwall am Museumstag. Bei der Feier zum 75. Geburtstag im Mai waren die aktuellen Mitglieder des Beirats in "ihrem" Raum auf der vierten Etage für alle Museumsbesucher*innen ansprechbar.
Vermitteln und verbessern
Auf dem Weg zum Beiratsraum begegnet mir MO-Beiratsmitglied Birgit Rothenberg. Sie hatte gerade zwischen einer Museumsaufsicht und einem Pärchen mit Hörbehinderung vermittelt. Das Pärchen wollte Fotos mit einer sehr lebensnahen Skulptur machen und hatte sich nichts dabei gedacht, diese Figur auch zu berühren. Die Museumskraft war eingeschritten, weil es sich nicht um ein interaktives Element handelte, wie von den beiden vermutet, sondern um ein wertvolles Kunstobjekt. Ein Missverständnis, das sich schnell klären ließ.
Birgit Rothenberg, keine Kunstexpertin wie sie selbst sagt, genießt es, im Museum zur vielfältigen Sicht beizutragen. Zu Beginn ihrer Zeit im Beirat ging es allerdings, wie schon allzuoft in ihrer jahrzehntelangen Tätigkeit als Aktivistin, um barrierefreie Toiletten: In den eigentlich barrierefreien Räumen waren die Reinigungswagen untergebracht, dadurch hatten sie ihre Barrierefreiheit eingebüßt.
Diversität als Herausforderung
Michael Griff, Kurator der erfolgreichen Sonderausstellung für Familien "Kopfüber in die Kunst" begleitet die Arbeit des Beirates und berichtet im Gespräch mit Beiratsmitgliedern von seinen jüngsten Erfahrungen in Sachen Diversität: Der Tag der letzten Ausstellungseröffnung sei für ihn persönlich "eine totale Reizüberflutung" gewesen. Es sei ohnehin eine Menge los gewesen, und bei der öffentlichen Kuratorenführung sah er sich gemeinsam mit der Gebärdensprachdolmetscherin spontan einer Gruppe von 20 Leuten mit Hörbehinderung gegenüber. Das war eine Herausforderung. Sein vorbereiteter Standardtext funktionierte in Gebärdensprachübersetzung nicht. Die Dolmetscherin gab ihm schnell zu verstehen, dass es wenig Sinn mache, in den üblichen Fachtermini zu reden. Sie müsste alle Fachbegriffe und Namen buchstabieren, und dies würde viel zu lange dauern. Michael Griff verstand dies als Chance: Er fragte sich, "Was ist eigentlich die essentielle Botschaft" und vermied für die Dauer der Führung - eine dreiviertel Stunde lang- Namen und Fremdwörter. "Das hat sehr viel in mir bewegt," stellt er rückblickend fest. Er hat sich vorgenommen, die Standpunkte für seine nächste Führung mit Gebärdensprachdolmetscherin anhand von Ausstellungsgrundrissen zu planen und noch mehr darauf zu achten, während des Sprechens nicht unnötig zu gestikulieren, da dies das Publikum von der Dolmetscherin ablenke. Letztendlich hätten beide Seiten von dieser Führung profitiert. Museen böten den Übersetzungsservice häufig an, aber nicht immer passten Angebot und Nachfrage so gut wie bei dieser Gelegenheit.
Andere inspirieren
In der Gruppe der Beiratsmitglieder fällt die Jüngste im Kreis auf: Nesrin Altuntas. Sie ist in verschiedenen Dortmunder Einrichtungen aktiv, auch als Jugendsprecherin des Dietrich-Keuning-Hauses. Sie sieht ihre Rolle im Beirat darin, die jugendliche Perspektive reinzubringen. Bezüglich des neuen Kunstwerkes, das der Beirat für einen Museumsankauf vorschlagen darf, hat sie sehr klare Vorstellungen: Es muss von einer Künstlerin geschaffen worden sein. "Habe die männliche Perspektive satt. Die Frauen hatten doch auch ein Leben, und Hobbies und die Passion! Wo ist das Ganze denn?" So fragt sie energisch. Es sollte das Kunstwerk einer weiblichen, nicht unbedingt deutschen Person werden, meint sie und bringt die Begriffe BIPOC (black, indigenous and other persons of color) und FLINTA (Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nicht binäre, agender) ein. Sie selbst ist Malerin, schafft Gemälde mit Acryl und Goauche. "Ich liebe die Malerei. Jeder Pinselstrich hat eine Bedeutung. Teilweise erzählt ein Gemälde eine ganze Geschichte." Nesrin Altuntas möchte mit ihrer Arbeit junge Mädchen inspirieren. Sie teilt ihre Erlebnisse im Museum gerne mit anderen: "Ich erzähl' immer ganz viel, bin auf Insta sehr aktiv. Heute zum Beispiel habe ich gepostet: „Es ist Geburtstag, kommt vorbei." Nesrin ist in vielen Gruppen aktiv, auch in der Auslandsgesellschaft. Seitdem sie eine Moderatorinnenausbildung gemacht hat, arbeitet sie auch bei "Young Talk" im Keuninghaus mit. Nesrin ist viel unterwegs und hat einen Blick dafür, wo Barrieren überwunden werden müssen. Im Museum findet sie es zu kompliziert, dass die vierte Etage auf den ersten Blick nur über eine Treppe von der fünften Etage zu erreichen ist. "Die Infos dazu werden nicht offen weitergeleitet", meint sie. Das Museum sollte außerdem (mehr) Angebote für blinde und gehörlose Menschen machen: "Damit sie diese Vielfalt miterleben."
Alle bringen etwas mit ein
Kunstmittlerin Kathi Bach beschreibt ihre Funktion beim Beirat so: "Bin die Schnittstelle zwischen Museumsbeirat, moderiere die Beiratstreffen und schreibe die Protokolle." Das Beirats-Projekt für dieses Jahr sei der Kunstankauf. "Das Schöne ist, dass die Gruppe selbst entscheiden darf und dass alle unterschiedliche Perspektiven haben. Sie stellen einen guten Querschnitt der Dortmunder Bevölkerung dar," meint sie. "Alle bringen etwas mit 'rein: Birgit Rothenberg vertritt hier die Interessen der Menschen mit Behinderungen, Horst ist Doktor (der Medizin), und Dominik arbeitet als Lackierer. Sie bringen alle etwas mit ein und bringen das einander näher. Es ist gut, verschiedene Leute zu haben, mit unterschiedlichen Blickwinkeln." Durch die Fragen ans Museumpublikum die schon mit vielen bunten Antwort-Post-its an den Wänden des Beiratsraums beantwortet wurden, werde den Menschen Raum gegeben, sie würden gesehen und gehört.
Welche Gruppe gezielt ins Museum einladen?
Dies bestätigt auch Alexis Rodriguez. Die Mitarbeit im Museum hat er bisher vor allem unter dem Gesichtspunkt betrachtet: "Wen möchten wir noch genau ins Museum einladen?" Wenn einfach gesagt werde "Das Haus ist offen für alle" werde kein bestimmter Mensch mitgedacht. Er meint: "Da sollten wir einfache Wege für Menschen finden. Wir überlegen: Welche Community wollen wir noch einladen?" Für ihn ist es wichtig, dass sich die eingeladenen Menschen dann auch im Museum wohlfühlen. "Wir bewegen uns in unterschiedlichen Gruppen oder Kreisen." Er hat für den Jubiläumstag eine Gruppe aus der spanisch-sprechenden Community eingeladen. Ein lockeres Netzwerk, das sich "Brunchito-kleiner Brunch" nennt und zur Gruppe "Red de Apoyo a Inmigrantes Hispanohablantes," aus Bochum gehört, deren Einzugsgebiet das ganze Ruhrgebiet ist. Nach einem gemeinsamen Foto im Beiratsraum verabschiedet sich Alexis Rodriguez, um mit seinen Gästen die übrigen Etagen des U zu erkunden.
Interesse wecken, auch wenn der Zugang schwierig ist
Als ein Vertreter der älteren Generation macht Horst Luckhaupt, Mediziner im Ruhestand im Beirat mit. Seit der Jugend interessiert er sich für Kunst. "Habe beim 'Kleinen Freitag' Vorträge über Künstlerinnen und Künstler gehalten. Dadurch wussten die Verantwortlichen, dass ich mich intensiv mit dem Thema Kunst beschäftige," erklärt er seine Aufnahme in den Beirat. Ob er sich im Beirat als Vertreter einer bestimmten Gruppe sehe? "Nein, aber ich finde es wichtig, dass wir länger zusammenarbeiten und Leute zum Museumsbesuch kriegen, die es bisher vielleicht gar nicht kennen." Er selbst habe viele Museen der Welt kennengelernt und es sei ihm ein besonderes Anliegen, dass mehr Künstlerinnen ausgestellt werden. Wenn man sich intensiver mit Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts auseinandersetzte, sähe man, dass beispielweise während der Phase des Blauen Reiters viele weibliche Kunstschaffende parallel zu den prominenten Malern genauso Bedeutendes geschaffen hätten. Horst Luckhaupt freut sich, dass der Beirat bei der nächsten Sammlungspräsentation des Museums ein Mitspracherecht bekommen soll. Diversität ist für ihn ein ganz wichtiges Thema. Er findet, allen sollte der Zugang zur Kunst ermöglicht werden, auch wenn es herausfordernd sei. Es ginge darum, das Interesse aller zu wecken. Horst Luckhaupt persönlich würde ein Mauerstück von Banksy im Museum Ostwall genauso gut gefallen wie klassische Objektkunst. Er lobt das Engagement des Museums für seinen Beirat. "Was gut tut, ist das Gefühl, dass man uns ernst nimmt." Er weist auf die Post-it Zettel an den Wänden: "Beispielsweise bei diesen Fragen, die wir den Besucher*innen stellen. Eine lautet: Wie gut lesbar sind die Beschriftungen im Museum? Man glaubt nicht, wie wichtig die Größen der Schrift den Menschen sind. Wenn wir die Zettel ausgewertet haben, wird das Ergebnis vom Museum auch mit berücksichtigt."
Street-Art im Museum?
Damian Sombetzki ist es nicht ganz so wichtig, dass seine eigene Sicht der Dinge sich im Museum wiederfindet. Er ist gelernter Maler und Lackierer. Aber er beschäftigt sich auch mit Streetart und Graffitis (mit der legalen Variante). Damian meint, dass street-art oft weniger als Kunst sondern als Sachbeschädigung gesehen wird, aber er ist überzeugt: wenn den Menschen die Möglichkeit gegeben wird, passieren in diesem Bereich tolle Sachen. Ein wichtiger Aspekt bei Graffitis sei, dass es meistens eine sehr vergängliche Kunstform ist. Er findet daher nicht, dass man alles ins Museum bringen müsse. Von den Leuten auf der Straße habe vermutlich ohnehin keiner die Ambition, im Museum auszustellen. Damian Sombetzki hat aber festgestellt, dass der Beirat offen für die Kunst von der Straße ist. Was im Museum fehlt? "Schwierig!" Er fände es schön, wenn hier auch Leute, die nicht so bekannt sind, Raum fänden. Und wenn sie eine Chance bekämen, ihre Sachen auszustellen. "Klar, man kann für 30.000 Euro ein Kunstwerk kaufen, aber damit tue ich mich schon ein bisschen schwer." Es hieße immer "Jeder kann Kunst machen." Trotzdem hingen im Museum ausschließlich Sachen, von denen jemand sagt: "Das hat einen Wert." Im Beirat möchte Damian dazu beitragen, ein Konzept zu entwickeln, um während dieses Prozesses zu Sichtweisen zu kommen, die man vorher nicht hatte. Welche Verbesserungen beispielsweise für Menschen mit Behinderungen im Museum möglich wären? Die Idee mit speziellen Führungen fände er gut, meint er. Aber: dafür sei es wieder nötig, zu einer bestimmten Zeit vor Ort zu sein, oder sich anzumelden. "Eigentlich sollte das Museum so gestaltet sein, dass jeder etwas mitnimmt aus der Ausstellung." Eine Sammlung sollte man von Grund auf so konzipieren, dass es für den größtmöglichen Teil der Menschen möglich sei, daran teilzuhaben. Das beginne bei baulichen Fragen. Außerdem findet Damian: "Es muss kommuniziert werden, dass es hier Sachen gibt, die nicht nur für elitäre Kunstmenschen sind." Er gehe nicht davon aus, dass sich alles innerhalb eines Jahres ändern werde. Trotzdem nimmt er den hohen Zeitaufwand für die Beiratstätigkeit in Kauf. Bekannte hätten schon mal gemeint: "Beirat... ach so. Da quatscht man, und es passiert sowieso nix." Diesen Eindruck hat Damian Sombetzki jedoch nicht, dafür engagiert sich das Museum Ostwall viel zu sehr für seinen Beirat und bietet zu viel Input. Solange es zeitlich passt, wird er sich weiter engagieren, und einen Teil seiner Zeit mit Überlegungen und Gesprächen zum Thema Diversität im Museum verbringen. Und die Stadtgesellschaft wird vom Engagement des Beirates profitieren. Sei es kurz- oder langfristig.
Link zum Artikel der Nordstadtblogger:https://www.nordstadtblogger.de/zum-75-jaehrigen-bestehen-welches-kunst…