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Prof. Dr. Theresia Degener erläutert menschenrechtsbasierte Forschung am IKSL-Beispiel

29.10.2024
Prof. Dr. Theresia Degener übergibt symbolisch den Staffelstab bei BODYS an Dr. Kathrin Römisch.

Wegbegleiter*innen kennen Prof. Dr. Theresia Degener als Aktivistin der Behindertenbewegung. In ihrer Eigenschaft als Juristin war sie von 2017 bis 2018 Vorsitzende des Ausschusses der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Ihre Forschungsschwerpunkte in Lehre und Forschung bei BODYS waren das Behindertenrecht, Antidiskriminierungsrecht, Internationale Menschenrechte und die Disability-Studies. Anlässlich ihrer Abschiedsvorlesung würdigte Jürgen Dusel als Behindertenbeauftragter der Bundesregierung Prof. Dr. Degeners herausragendes Engagement in einem Grußwort und er meinte: „Theresia Degener hat uns verständlich gemacht, dass die Umsetzung der Rechte behinderter Menschen nicht etwa eine Nettigkeit ist, sondern dass es dabei um die Frage geht, in welchem Land wir leben wollen. Leider erleben wir, dass Leute, die Probleme mit Demokratie haben, auch häufig Probleme mit Inklusion haben."

Kriterien für menschenrechtsbasierte Forschung aufgestellt

Im Zentrum der Abschiedsvorlesung stand die menschenrechtsbasierte Forschung als Methode. Prof. Dr. Degener machte deutlich, an welchen vier Kriterien sich Forschung im Geist der UN BRK messen lassen muss:

  • „Entspricht die Forschung dem menschenrechtlichen Modell von Behinderung?
  • Trägt die Forschung zur Gleichstellung behinderter Menschen bei?
  • Hinterfragt und konfrontiert die Forschung in allen Phasen kulturelle Haltungen, die behinderte Menschen marginalisieren bzw. die durch Ableismus geprägt sind?
  • Sind alle Phasen des Forschungsprozesses barrierefrei und inklusiv?“

Neben diesen Fragen seien weitere ethische Prinzipien im Licht der UN BRK zu beachten. Das Prinzip der „Informierten Einwilligungspflicht“ für moderne Forschung führe allerdings häufig dazu, dass behinderte Menschen in den Ethikrichtlinien von Forschungsausschüssen als „vulnerable Personen“ von der Forschung ausgeschlossen würden. Nach der UN BRK gelte aber die Vermutung, dass alle behinderten Menschen in die Lage versetzt werden können, selbst in die Forschung einzuwilligen, mithilfe barrierefreier Informationen und, falls nötig, mit unterstützter Entscheidungsfindung.

Im Forschungsalltag werden Forschende bei der Umsetzung aller Prinzipien der menschenrechtsbasierten Forschung mit Herausforderungen konfrontiert, musste Prof. Dr. Degener feststellen, was sich sowohl im Hinblick auf zeitliche Vorgaben als auch im Hinblick auf Ressourcen gezeigt habe. Sie plädierte dafür, diese Erfahrung bei der Vergabe von Forschungsprojekten zu berücksichtigen.

Anwendung der Kriterien in der Praxis: Forschungsprojekt IKSL

Anhand des BODYS-Forschungsprojektes „Initiative Kompetenzzentren Selbstbestimmt Leben (IKSL), der Evaluation der „Kompetenzzentren Selbstbestimmt Leben-KSL.NRW“ von 2016 bis 2020 verdeutlichte Prof. Degener Schwierigkeiten und Chancen bei dieser Form der Forschung.

Bei den Mitarbeitenden der Kompetenzzentren, deren Stellen bewusst paritätisch von Menschen mit und ohne Behinderung besetzt worden waren, wurde grundsätzlich eine Einwilligungsfähigkeit vermutet und diese wurde in entsprechend barrierefreien Formaten abgefragt. Vor allem die Erstellung der barrierefreien Instrumente zur Datenerhebung war wegen der nötigen Medien wie Gebärdensprachvideos, Leichte Sprache- und Schrift-Dolmetschung zeit- und ressourcenintensiv. Um die nötige Expertise nutzen zu können wurden barrierefreie Arbeitsplätze für behinderte studentische Hilfskräfte und behinderte wissenschaftliche Mitarbeitende neu eingerichtet. Dies war nur in enger Zusammenarbeit mit weiteren Stellen wie der Hochschulverwaltung oder den Inklusionsämtern möglich.

Insgesamt hat das Forschungsteam vor allem den Eindruck gewonnen, dass sich behinderte Interviewte durch den Einsatz behinderter Wissenschaftler*innen mehr öffnen konnten, und dass die passgenauen Erhebungsinstrumente insgesamt zu besseren Forschungsergebnissen führten.

Nachweis der Anwendung

Die vier oben genannten Prinzipe, die von den „Disability-Human-Rights Research Networks“ für menschenrechtsbasierte Forschung aufgestellt worden sind, wurden beim Forschungsprojekt IKSL erfüllt, erläutert Prof. Degener abschließend:

  • Bei dem Projekt ging es um die Umsetzung der UN BRK und darin festgelegte Vorgaben wurden bei der Durchführung berücksichtigt.
  • Mit Prof. Degener hatte das Projekt eine Leiterin aus der Behindertenbewegung, und mit BODYS ein Forschungsinstitut, das seinen Forschungsantrag an den Forderungen der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung ausrichtete. Die Mitarbeitenden der KSL konnten als Co-Forschende Einfluss auf IKSL nehmen.
  • Die Interessen von Menschen mit Behinderung rechtlich umzusetzen, nämlich ihre „Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft (Art. 19: UN BRK und ihre Auswirkungen im Betreuungsrecht),“ war und ist Anliegen der KSL
  • Die Forschungsergebnisse wurden leicht verständlich in einem Praxishandbuch mit dem Titel „So geht Vielfalt“ veröffentlicht und so der sozialen Bewegung zurückgegeben.

Prägende Impulse für die Entwicklung der KSL.NRW

Bis heute ist das wichtigste Motto der KSL.NRW „So geht Vielfalt“ und die Forschungsarbeit im Projekt „IKSL“ hat auch die KSL-Mitarbeitenden hinsichtlich ihrer Arbeit für den partizipativen Ansatz „Nichts über uns ohne uns“ der Behindertenbewegung sensibilisiert.

Der Aufbau und die Weiterentwicklung der KSL.NRW wurden wesentlich durch die Arbeit von Prof. Degener und BODYS geprägt. Daher ist ihr Abschied von der Evangelischen Fachhochschule Bochum auch für uns KSL-er*innen ein Anlass „Danke!“ zu sagen

Bild: EvH Bochum

Beschreibung: Prof. Dr. Theresia Degener übergibt einen symbolischen Staffelstab an Dr. Kathrin Römisch, die die Leitung von BODYS gemeinsam mit Prof. Dr. Stefan Schache übernimmt.

Link zur Pressemitteilung der EvH Bochum