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Gewalterfahrung und strukturelle Diskriminierung?

28.06.2024
Goldfarbene Statue der Justitia mit Augenbinde und Waage

Gewalterfahrung und anschließend strukturelle Diskriminierung?

Das Szenario: eine Frau erstattet 2020 in Berlin Anzeige und sagt aus, dass ihr Vorgesetzter, ein Werkstattleiter, sie sexuell belästigt habe. Die Staatsanwaltschaft beauftragt eine Sachverständige mit der Einschätzung dieser Aussage.

In einem Gutachten kommt die beauftragte Sachverständige zu dem Schluss, dass die Betreffende „wegen einer kognitiven Beeinträchtigung angeblich nicht fähig sei, eine Aussage zu machen. (Pressemitteilung bff/BODYS/Weibernetz e.V.)

Die Ermittlungen werden daher von der Berliner Staatsanwaltschaft eingestellt.

 

 

Das könnte der Schlusspunkt der offiziellen Geschichte gewesen sein. Aber:

Die Betroffene fand Gehör beim bff(Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe), sowie BODYS (Bochumer Zentrum für Disability Studies und Weibernetz e.V. (Bundesnetzwerk von FrauenLesben und Mädchen mit Beeinträchtigung).

Dank der Unterstützung durch diese Organisationen konnte die betroffene Frau Verfassungsbeschwerde beim Landesverfassungsgerichtshof Berlin einlegen.

Laut Pressemitteilung der Organisationen war diese Verfassungsbeschwerde erfolgreich: „Die von der Staatsanwaltschaft beauftragte Psychologin hatte keine Expertise zur Begutachtung von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Sie hat sich während der Begutachtung diskriminierend verhalten und das Gutachten entspricht nicht den wissenschaftlichen Standards. Aufgrund dieses Gutachtens hätten die Ermittlungen nicht eingestellt werden dürfen,“ dazu Rechtsanwält*in Ronska Grimm. „Aufgrund vermeidbarer Fehler hatte unsere Mandantin schlichtweg nicht die gleiche Chance, wie Menschen ohne Behinderungen, dass ihre Aussage auch zu einer Verurteilung führt.“

Stand jetzt muss das Kammergericht Berlin nun erneut darüber entscheiden, ob die Ermittlungen weitergeführt werden, denn die erste Entscheidung, das Verfahren einzustellen wurde nun aufgehoben wegen Verfassungsverstößen auf (Beschluss vom 19. Juni 2024, VerfGH 80/22.

Laut Theresia Degener (BODYS), Professorin für Recht und Disability Studies und ehemaliges Mitglied des UN-Fachausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die als eine der Anwältinnen die Betroffene vor Gericht vertreten hat, sei dieser Fall leider nicht als Einzelfall zu sehen, sondern als Ausdruck struktureller Diskriminierung.

Der Artikel zum Thema bei KOBINET.org

Foto: William Cho/Pixabay, montiert auf anderes Bildformat