Für Daniel Bastert (Foto) gibt es ein Leben in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung – und eines danach. Vor neun Jahren erhielt er die Chance, in ein Wirtschaftsunternehmen zu wechseln. Bereut hat er diesen Schritt nicht. Im Gegenteil. „Seitdem bin ich ein anderer Mensch“, sagt er und rät anderen Menschen mit Behinderung, die in einer Werkstatt arbeiten, sich ebenfalls auszuprobieren.
Gerade kam per Lkw eine neue Lieferung. Feuchtraumleuchten eines namhaften Herstellers. Eine ganze Palette voll. Jetzt beginnt die Arbeit von Daniel Bastert. Er vergleicht, ob die gelieferte Menge der Bestellung entspricht, prüft die Verpackungen auf sichtbare Fehler, bucht an seinem PC die Lieferung in das Warensystem ein und fährt die Pakete per Gabelstapler schließlich zu den entsprechenden Regalen, wo er sie ordnungsgemäß ablegt.
Daniel Bastert ist Mitarbeiter der Firma WATT24. Das Unternehmen hat seinen Sitz im sauerländischen Ense und vertreibt über das Internet Lichttechnik von der Lampenfassung bis zum kompletten Beleuchtungssystem. Außerdem berät die Firma sowohl Elektroinstallateure als auch Unternehmen bei der Planung von lichttechnischen Anlagen und führt in dem Rahmen beispielsweise kostenlose Lichtberechnungen durch. Insgesamt beschäftigt WATT24 am Standort in Ense 23 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung, im Lager und im Vertrieb.
Der Wareneingang ist aber nur ein Teil von Daniel Basterts Arbeit. Die eingelagerten Produkte sollen so schnell wie möglich auch wieder verkauft werden. Denn schließlich ist WATT24 ein Online-Shop, der seine Kunden in ganz Deutschland und Europa beliefert. Daniel Bastert wickelt die anfallenden Speditionsaufträge ab und kümmert sich auch um Retouren, die von Kunden zurückgeschickt werden. Er protokolliert die Fehlerangaben, so dass die Vertriebsabteilung weiß, was mit der Rücksendung zu tun ist. Er unterstützt bei der jährlichen Inventur und packt im Lager überall mit an, wenn Hilfe gebraucht wird.
Wer anders ist, steht außen vor
Daniel Bastert versteht sich als „Allrounder“. Mit Schwung setzt er sich auf den Gabelstapler, gibt Gas und lenkt das schwere Fahrzeug einige Meter weiter zum nächsten Regal. Wer dem 35 Jahre jungen Mann bei der Arbeit zuschaut, ahnt nicht, dass es ihm in seinem bisherigen Leben nicht immer so gut gegangen ist wie heute. Weil er in einem normalen Kindergarten nicht klarkam, schickten ihn seine Eltern in einen Kindergarten für Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten. Im Anschluss besuchte er die Kardinal-von-Galen-Schule in Eslohe, einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung. In seinem eigenen Internet-Blog und in den Sozialen Medien schreibt Daniel Bastert ausführlich über sein Leben. Er berichtet vom Anderssein in einem kleinen Dorf im Sauerland und wie es ist, sich ausgeschlossen zu fühlen. Seine Eltern wollten ihn zum Fußball schicken, er aber hatte Angst, wieder abgelehnt zu werden. „Ein Scheißgefühl“, sagt er im Interview. Und: „Du wirst überall sofort in eine Behinderten-Schublade gepackt.“
Nach der Schule schien sein Weg vorgeprägt zu sein: Mit 19 meldeten ihn seine Eltern in den Caritas Werkstätten Arnsberg an. Er absolvierte verschiedene Praktika, lernte den Gartenlandschaftsbau, aber auch Malern, Metallverarbeitung und schließlich die Arbeit in einem Lager kennen. Ein Jahr später warf ihn eine Depression aus der Bahn. Ein weiterer Tiefpunkt in seinem Leben, aber auch eine Wende. Es folgten zehn Wochen Psychotherapie in einer Tagesklinik. Aber: „Das hat mir auch richtig gutgetan“, blickt er heute zurück. Er habe in dieser Zeit erfahren und gelernt, sich selbst wertzuschätzen und auf sich zu vertrauen. Aber vor allem drängte es ihn von nun an immer mehr: „Du musst raus aus der Werkstatt!“
Inklusion ist gelebter Alltag
Nun, es gibt sie, wenn auch selten: diese Momente im Leben, die alles verändern. Und dieser Moment kam für Daniel Bastert in Form einer Stellenanzeige der Firma WATT24 aus Ense am Möhnesee. Das 2012 frisch gegründete Start-up für lichttechnische Lösungen suchte einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin für das Lager. „Alle sagten, das schaffst du eh nicht, bleib mal lieber in der Werkstatt“. Aber Daniel Bastert nahm sein Herz in die Hand, bewarb sich, stellte sich vor – und erhielt den Job. Für kurze Zeit im Rahmen eines ausgelagerten Arbeitsplatzes der Werkstatt, schon bald aber erhielt er seinen festen Arbeitsvertrag.
Bei WATT24 arbeiten noch weitere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit Behinderung. Es gehört zu den festgeschriebenen Werten des Unternehmens, dass es keine Rolle spielt, ob ein Mensch eine Behinderung hat, welche Hautfarbe er hat, aus welchem Land er kommt, welcher Religion er angehört, ob er schwul, lesbisch oder transsexuell ist. „Am Ende geht’s darum, dass ein Job zur Zufriedenheit unserer Kunden ausgeführt wird“, sagt Marco Lauerwald, Marketingleiter bei WATT24. „Die Leistung zählt. Und wenn ein Mensch mit Behinderung einen Arbeitsplatz adäquat besetzen kann und ins Team passt – umso besser. Bei uns ist Inklusion gelebter Alltag und eine Bereicherung für unser Unternehmen.“ Mittlerweile gibt es eine feste Kooperation mit den Caritas Werkstätten Arnsberg. Für sein vorbildliches Verhalten, Menschen mit Behinderung den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu ebnen, wurde WATT24 im Jahr 2014 mit einem zweiten Platz beim Deichmann Förderpreis ausgezeichnet.
Heinz Arenhövel, stellvertretender Beauftragter für die Belange von Menschen mit Behinderungen im Hochsauerlandkreis, ist beeindruckt von den gelebten Unternehmenswerten des Lichttechnik-Spezialisten. „Viele Firmen scheuen sich immer noch, Menschen mit Behinderungen einzustellen“, so Arenhövel. „Die Gründe sind meist nicht nachzuvollziehen.“ WATT24 sei ein tolles Beispiel, wie Inklusion in der Arbeitswelt gelingen kann. Arenhövel: „Davon brauchen wir mehr.“
Ein anderer Mensch
Daniel Bastert ist dankbar für die Chance, die er bei WATT24 erhalten hat. „Seitdem ich diesen Job habe, bin ich ein anderer Mensch“, sagt er. Die Arbeit gibt ihm Lebensmut und ein Selbstvertrauen, das fast unerschütterlich erscheint. Pkw-Führerschein? Prüfung bestanden! Staplerführerschein? Geschafft! Vor kurzem zog er mit seiner Freundin zusammen. In Gütersloh. Seitdem fährt er täglich 150 Kilometer zu seiner Arbeit und zurück nach Hause. Auch der Fußball spielt heute eine Rolle in seinem Leben. Er war lange Kapitän der „59872 Torfabrik“ in Meschede und ist auch heute noch nach seinem Umzug nach Ostwestfalen in einer Bielefelder Mannschaft aktiv. Und wenn die Zeit es erlaubt, fährt er ins Ruhrgebiet zu seinem Herzensverein Schalke 04.
„Ich kann nur jedem empfehlen, sich auszuprobieren, die Werkstatt zu verlassen“, gibt Daniel Bastert seine Erfahrungen gern weiter gemäß dem Motto: Wer nichts wagt, der nicht gewinnt. „Ich kann auch die verstehen, die sagen, die Arbeit da draußen außerhalb der Werkstatt ist so schwer. Das stimmt, aber einen Versuch ist es wert. Ich habe für mich Berge versetzt. Ich traue mir jetzt viel mehr zu.“
Das Lager-Team von WATT24: (stehend von links) Marco Lauerwald, Marketingleitung, René Glomb, Mitarbeiter Lager, Daniel Bastert, Mitarbeiter Lager, und Matthias Klauke, Mitarbeiter Lager. (Kniend von links) Jacqueline Boverie, Mitarbeiterin Lager, und Lars Andrießen, Lagerleitung.
Text/Fotos: Michael Kalthoff-Mahnke