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Insider- Sicht auf das Thema „Eltern mit Behinderung“

11.03.2025
Christiane Rischer gab einen Überblick zum Thema

Insider- Sicht auf das Thema „Eltern mit Behinderung“ 

Der Aschermittwoch (5. März 2025) stand in der Universitätsstadt Siegen dieses Jahr im Zeichen der Inklusion: Die Beauftragten für Menschen mit Behinderung in der Stadt Siegen und dem Kreis Siegen-Wittgenstein hatten in Kooperation mit dem Familienbüro der Stadt Siegen einen Fachtag zum Thema „Eltern mit Behinderung oder psychischen Erkrankungen“ organisiert. Die Planung erfolgte gemeinsam mit den KSL.NRW, die auch drei Fachreferentinnen stellten. Diese brachten ebenso wie die Vortragende der Universität Siegen, eindrucksvoll persönliche Erfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse ein. Darüber hinaus stellten Vertreter*innen der EUTB® Siegen-Wittgenstein-Olpe, von Invema e.V. und von den Allgemeinen Sozialen Diensten /Eingliederungshilfe der Stadt Siegen ihre Angebote für Menschen mit Behinderungen vor. Für einen guten Rahmen der Redebeiträge und Publikumsfragen sorgte Moderatorin Iris Colsmann vom KSL Düsseldorf.

Herzliche Begrüßung

Die allerersten Worte der Begrüßung kamen jedoch von den Gastgeberinnen selbst: Die Beauftragte der Stadt Siegen für Menschen mit Behinderungen, Monica Massenhove und Susanne Wüst-Dahlhausen, Leiterin des Familienbüros der Stadt Siegen freuten sich sichtlich über das große Interesse am Thema und luden die Teilnehmenden ein, sich mit ihren Fragen und Anregungen auch nach der Fachtagung weiter an sie und an ihren Mit-Gastgeber und Behindertenbeauftragten für den Kreis Siegen-Wittgenstein, Rainer Groos zu wenden. Sie seien froh, bereits ein gutes Angebot zu haben, arbeiteten jedoch weiter an Vernetzung und Verbesserungen. In seinem Grußwort sprach André Schmidt, Dezernent und Geschäftsbereichsleiter der Stadt Siegen die Hoffnung aus, mit dem Fachtag das Angebot für Familien in Siegen zu stärken. Er wünschte den Teilnehmenden Inspiration und Erkenntnisse, die zum Handeln anregten.

Im Hüttensaal der Siegerlandhalle waren rund 80 Fachleute aus dem Bereich der Jugendämter, Fachdienste und Beratungsstellen in Siegen-Wittgenstein zusammengekommen, um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. In ihren Tätigkeitsbereichen wie der Beratung von Menschen mit Behinderung oder psychischen Erkrankungen taucht das Thema Elternschaft immer öfter auf. 

Innenansichten

Die vier Fachreferentinnen vertraten vor allem die Peer-Perspektive. Die Zuhörer*innen lauschten gebannt den Berichten aus der Sicht von Eltern mit Behinderung. Christiane Rischer vom KSL Arnsberg, selbst Mutter mit Peer-Erfahrung, gab einen Überblick über die Situation von Eltern mit Behinderung: Welche Herausforderungen für welches Behinderungsformthema auftauchen können, wurde anhand konkreter Beispiele ebenso dargestellt, wie passendende Unterstützungsmöglichkeiten. Ganz anschaulich gab es auch von ihr auch Anregungen zu Hilfsmitteln, von denen Eltern mit Behinderung im Umgang mit ihren Kindern profitieren können, beispielsweise zeigte sie ein Babyphon mit Lichtsignal für Eltern mit Sehbehinderung oder einen „Sicherheitsgurt“ mit dessen Hilfe Kleinkinder im Rollstuhl der Eltern mitfahren können. Bei vielen Situationen sei aber auch die Kreativität der Eltern gefragt, so ihre persönliche Erfahrung. 

Ein wichtiger Hinweis von ihrer Seite war, dass Eltern mit Behinderung sehr davon profitieren, wenn bei Elternangeboten jeder Art vermerkt wird, in welcher Form Barrierefreiheit am jeweiligen Veranstaltungsort schon vorhanden ist. Alles weitere könne man dann im Rahmen persönlicher Rücksprache klären. Wichtig sei das Signal an die Eltern mit Behinderung: Ihr seid willkommen!

Christiane Rischer und Ulrike Häcker bei ihren Vorträgen

Dezernent André Schmidt beim Grußwort

Katja Fellenberg und Dr. Miriam Düber bei ihren Vorträgen

Eltern mit anderen Lernmöglichkeiten

Berichte aus der Forschung können trockener Stoff sein. Für den Vortrag von Dr. Miriam Düber vom Zentrum für Planung und Entwicklung Sozialer Dienste an der Universität Siegen galt das nicht. Sie zitierte aus ihren Interviews mit Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten, die sie im Rahmen verschiedener Forschungsprojekte durchgeführt hatte, sowohl in besonderen Wohnformen als auch im Rahmen (ambulant) Betreuter Elternschaft. Wie so oft zeigte sich in den Antworten große Heterogenität. 

Vielfältige Biografien und verschiedene Lebenssituationen führten zu ebenso individueller Wahrnehmung der eigenen Elternschaft. Gemeinsam war allen Eltern mit anderen Lernmöglichkeiten die Stigmatisierungserfahrung, dass ihre Elternschaft von vielen Außenstehenden, aber auch von Menschen aus dem eigenen Familienkreis als Bruch mit den Vorstellungen von gesellschaftlicher Normalität wahrgenommen wird. Deutschland hat eine erschreckend lange Geschichte der Zwangssterilisation von Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten. Dies ist zu bedenken, wenn häufig immer noch angezweifelt wird, ob Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten gute Eltern sein können, auch von professioneller Seite. Sie werden oft als „Risikoeltern“ eingestuft, und empfinden aus diesem Grund Unterstützung teilweise auch als Kontrolle. Bei ihren Assistenzpersonen schätzen sie deswegen besonders, wenn sie zu ihnen ein Vertrauensverhältnis aufbauen können, wenn Assistent*innen menschlich nahbar sind und wenn auch mal gemeinsam gelacht wird.

Die Probleme, die Eltern mit anderen Lernmöglichkeiten im Alltag mit ihren Kindern benennen rühren allerdings zum großen Teil daher, dass sie aufgrund schlechterer Bildungsabschlüsse oder schlechterer Chancen auf dem Arbeitsmarkt wenig Geld zur Verfügung haben, so Dr. Miriam Düber. In der Folge plädiert sie dafür, dass zwar das „Label“ Eltern mit anderen Lernmöglichkeiten berücksichtigt werden sollte, es aber weniger im Fokus stehen solle als die Förderung der Teilhabe in allen Lebensbereichen. Denn was die Eltern behindere, behindere auch die Kinder. Benötigt würden individuelle und bestmöglich wohnortnahe Unterstützungsmöglichkeiten, nicht superspezielle Angebote, die die Eltern womöglich zu einem Wohnortwechsel zwängen.

Rechtliche Grundlagen

Im Anschluss beleuchtete Ulrike Häcker vom KSL Detmold, die rechtlichen Ansprüche von Eltern mit Behinderung und ihren Kindern. Diese sind sowohl von der UN beschrieben worden als auch in Bundesgesetzen gefasst. Die zugesicherte Unterstützung soll zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltags einschließlich der Tagesstrukturierung befähigen. Ulrike Häcker betonte, dass die Institutionen gegenüber den Eltern eine umfassende Beratungspflicht haben.

Eltern mit psychischen Erkrankungen

In einem weiteren Vortrag gab Ulrike Häcker Einblicke in die Erfahrungen von Eltern mit psychischen Erkrankungen. Ihre Statements werden aktuell für eine kommende Broschüre der KSL.NRW aufbereitet. Eltern aus dieser Gruppe täten sich oft schwer damit, mit ihrer Beeinträchtigung offen umzugehen, so Ulrike Häcker. Umso größer war ihr Bedarf, sich im geschützten Raum von anonymen Interviews mitzuteilen und ihre oftmals leidvollen Erfahrungen zu schildern. Für sie gibt es bisher selten passende Unterstützungsangebote. Und auch sie stoßen im näheren Umfeld selten auf Verständnis. Psychische Erkrankungen sind immer noch mit einem Tabu belegt.

Barrieren erschweren das Familienleben

Sehr persönlich wurde wiederum Katja Fellenberg vom KSL Düsseldorf, die den Zuhörenden schilderte, wie sie ihre Schwangerschaft, die Geburt ihres Kindes und das Familienleben bisher erlebt hat. Sie regelt ihren Unterstützungsbedarf sowohl mit einer persönlichen als auch mit Elternassistenz. Alles unter einen Hut zu bringen sei eine organisatorische Höchstleistung und das „Familiensystem“ bedürfe ständiger Weiterentwicklung. Bei der Suche nach Angeboten, die sie ebenso gut wie ihr Partner aufsuchen kann, stieße sie häufig auf Barrieren und musste schon oft mit Enttäuschungen klarkommen, die vermeidbar gewesen wären. Sie wünscht sich die bildhafte Darstellung von Veranstaltungsörtlichkeiten mithilfe von Fotos. Daran könne man oft einiges hinsichtlich der Barrierefreiheit ablesen, so ihre Erfahrung. 

Vertreter*innen der EUTB, von Invema e.V. und  vom ASD der Stadt Siegen stellten sich vor. Hier die Fragerunde mit Susanne-Schulte-Wüsthoff

Monika Massenhove bei der Verabschiedung

Ansprechpersonen in der Region

Die lokalen Anbieter im Raum Siegen-Wittgenstein-Olpe im Bereich Teilhabe für Menschen mit Behinderungen zeigten in einer Schlussrunde auf dem Podium, dass die Region Siegen bereits über ein gutes Unterstützungs-Netz verfügt: Jan-Frederik Fröhlich stellte die EUTB® vor und lud dazu ein, sich bei Fragen an diese unabhängige, vom Bund langfristig geförderte Beratungsstelle zu wenden. Die Beratung hier ist kostenlos und es wird flexibel auf die Bedarfe der Ratsuchenden eingegangen, so sein Versprechen. 

Kerstin Borusiak von Invema e.V. stellte ihren Verein und seine Arbeitsgebiete vor. Ebenso wichtig war es ihr, auf die Leitgedanken ihrer Arbeit hinzuweisen. Invema e.V. betont darin den Gedanken der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen. 

Für die Allgemeinen Sozialen Dienste der Stadt und die Eingliederungshilfe war (vertretungsweise) Gabriele Schein vor Ort und erklärte, dass ihre Behörde zwar, nicht selten ein Negativ-Image von „Kinderräubern“ verpasst bekomme, dass aber eigentlich ihr Arbeitsschwerpunkt auf der Unterstützung von Menschen läge. Hierin bestünde die Chance, denn Möglichkeiten zur Unterstützung gäbe es viele. Die Inobhutnahme von Kindern sei nur das allerletzte Mittel, wenn eine Kindeswohlgefährdung im Raum stünde. Lieber unterstützten sie und ihr Team Menschen dabei, ihr Familienleben gut hinzubekommen. 

Mit neuen Erkenntnissen zurück in den Berufsalltag

Das Publikum hätte trotz des schönen Frühlingswetters auch nach dem Veranstaltungsende noch weiterfragen und auch diskutieren mögen, so das Feedback. Alles in allem war der Fachtag in Siegen wunderbar organisiert und für die Teilnehmenden gespickt mit Inhalten, die ihnen das Thema sehr nahebrachten, und ihnen wichtige Impulse für ihren Berufsalltag gab.