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Es geht alle an!

23.04.2020
Das Bild zeigt ein Porträt von Gabriele Olbrich-Steiner.

Sie bezeichnet sich selbst als ein Urgestein der Kreisverwaltung Unna. Seit fast 43 Jahren ist Gabriele Olbrich-Steiner als Sozialarbeiterin in unterschiedlichen Arbeitsbereichen dort tätig, zuletzt in der Funktion der Beauftragten für Menschen mit Behinderung und Psychiatriekoordinatorin. Ihr Leitmotiv: „Nicht für andere sorgen, sondern mit anderen etwas entwickeln.“ Im Herbst dieses Jahres geht sie in den Ruhestand. Ihr größter Wunsch: den begonnenen Weg zu einer inklusiven Verwaltung im Kreis Unna zu festigen. Was sie dazu motiviert und bewegt, verrät sie der Redaktion von "Mensch, Arnsberg!" Das Gespräch haben wir vor Ausbruch der Corona-Pandemie geführt.

 

Redaktion: Frau Olbrich-Steiner, hinter Ihrem Schreibtisch hängt ein Poster mit einem Spruch in fernöstlichen Schriftzeichen an der Wand. In der Übersetzung steht darunter: „Fang‘ nie an aufzuhören, hör‘ nie auf, anzufangen!“. Was bedeutet das für Sie?

Olbrich-Steiner: Nie aufgeben, wenn auch nur die kleinste Aussicht auf Erfolg besteht. Beharrlich, mutig und selbstbewusst sein. Sein Ziel nicht aus dem Blick verlieren. Dranbleiben. Sich auch nach scheinbaren Niederlagen wieder aufrappeln, Ärmel wieder hochkrempeln und weitermachen. Die Menschen gewinnen, mit fachlichen Argumenten. Gerade in einer Verwaltung braucht man solche „Leitplanken“, um seine Ideen und Vorstellungen auf den Weg zu bringen.

 

Weiser Spruch

 

Redaktion: Sie sind seit mehr als 40 Jahren in der Kreisverwaltung Unna tätig. Eine lange Zeit! Was treibt Sie an, was bewegt Sie, was motiviert Sie zu Ihrer Arbeit?

Olbrich-Steiner: Ganz wichtig und deshalb zuerst: Ich mache das, was ich tue, gerne. Das gehört zu mir, das ist sozusagen mein Ding. Zweitens: Mein Ansatz. Ich will nicht für andere sorgen, sondern mit anderen etwas entwickeln. Nicht für andere planen, sondern mit anderen. Es geht alle an! Das ist mir ganz wichtig. Ich bin nicht Mutter Theresa. Ich bin geprägt von der Gemeinwesenarbeit der 1970er-Jahre. Mir geht es um Befähigung. Menschen sollen ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen können. Ich versuche Menschen, Dinge und Prozesse in Bewegung zu bringen. Wenn’s läuft, ziehe ich mich auch gerne wieder zurück.

Und schließlich drittens: Ich erhalte in diesem Job auch unheimlich viel zurück von den Menschen, mit denen ich zusammenarbeite. Ich habe viele Unterstützer und Partner, auch außerhalb der Verwaltung. Die Beiräte und die vielen Akteure aus der Welt der Menschen mit Behinderung. Wir verständigen uns, wir stimmen uns ab. Aus meinen Netzwerken bekomme ich viele Impulse für meine Arbeit. Auch weil ich sage: „Ich bin auf eure Hilfe angewiesen.“ Dabei bin ich authentisch und ehrlich, und das kommt gut an. All das gibt mir Kraft. Ich bin Netzwerkerin und versuche alles mir Mögliche, um Wege zu schaffen, Dinge zu verbessern.

 

Redaktion: In Ihrer Zeit als Beauftragte für Menschen mit Behinderung fällt das Handlungsprogramm „Kreis Unna inklusiv – auf dem Weg zu einer inklusiven Verwaltung. Was ist Ziel des Programms? Wo stehen Sie heute?

Olbrich-Steiner: Im September 2010 hat der Kreistag beschlossen, die Grundsätze der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) im Kreis und in der Kreisverwaltung umzusetzen. Diese Umsetzung der Menschenrechtskonvention geht uns alle an und ist eine wichtige, fachgebietsübergreifende Aufgabe. Inklusion soll die gleichberechtigte Teilnahme aller Menschen am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen und sichern. Dazu gehören der Nahverkehr ebenso wie Zentrale Dienste, Arbeit und Soziales, Bauen und Wohnen, Wertstoff und Abfallwirtschaft.

Wir haben zu Beginn über unser gesamtes Leistungsspektrum geschaut. Wo liegen die Möglichkeiten einer selbstbestimmten Teilhabe und der Barrierefreiheit? Es wurden und werden mit allen Beteiligten und Anspruchsgruppen Vorschläge erarbeitet, geprüft und umgesetzt, durch die Inklusion in der Verwaltung und im Kreis Unna möglich wird. Um den Prozess so transparent wie möglich zu machen, legen wir regelmäßig Berichte vor, die den Stand der Umsetzung dokumentieren. Man kann immer mehr machen, aber ich glaube, wir haben bis heute schon so Einiges erreicht und sind auf einem guten Weg.

 

Redaktion: Können Sie ein Beispiel nennen?

Olbrich-Steiner: Das fällt mir bei den vielen tollen Projekten nicht leicht. Was mir persönlich seit Beginn des Handlungsprogramms am Herzen liegt, sind die Seminare für Bewusstseinsbildung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kreisverwaltung. In diesen Workshops geht es nicht darum, den Kolleginnen und Kollegen eine besondere Behindertenwelt zu vermitteln. Es geht in erster Linie darum zu erkennen, wie man selbst „tickt“. Ich bin überzeugt: Nur wenn man das weiß, kann man auch anderen Menschen respektvoll und wertschätzend begegnen. Es geht darum, sich selbst und den Menschen gegenüber zu begreifen. In den Arbeitsgruppen sitzen ganz unterschiedliche Menschen beieinander. Jeder ist anders. Und das ist gut so! Wir wollen vermitteln: „Es ist okay, anders zu sein!“

 

Redaktion: Im Herbst gehen Sie in den wohl verdienten Ruhestand. Was haben Sie sich bis dahin vorgenommen?

Olbrich-Steiner: Im Herbst gehe nicht nur ich in den Ruhestand. Auch der sozialpolitisch sehr engagierte Landrat verabschiedet sich. Es gibt Kommunalwahlen im kommenden September. Ich vermute, dass sich die Mehrheitsverhältnisse im Kreistag verändern werden. Ich fürchte, dass sich auch hier im Kreis Unna der allgemeine Rechtsruck im Parlament widerspiegeln wird.

Deshalb geht es mir im Grunde um eine Sache. Das ist die Fortschreibung des Handlungsprogramms, welches Ende 2020 ausläuft. Im Sommer steht das Thema auf der Tagesordnung des Kreistags. Ich setze meine ganze Kraft darauf, dass unser begonnener und erfolgreicher Weg fortgesetzt werden kann. Denn: Wir haben viel erreicht, es gibt ebenso noch viel zu tun, um Barrieren im Alltag und in den Köpfen der Menschen zu überwinden, um den Gedanken der Inklusion umzusetzen. Das ist letztlich ein Generationenprojekt. Ich sehe uns auf einem guten Weg, wir werden das schaffen.

 

Redaktion: Wie ist denn da der aktuelle Stand?

Olbrich-Steiner: Wir haben mit der fachlichen Unterstützung der Kollegen des Kompetenzzentrums Selbstbestimmt Leben für den Regierungsbezirk Arnsberg (KSL Arnsberg) eine Evaluation des Inklusionsprozesses in der Kreisverwaltung durchgeführt. Das war sehr hilfreich und wir haben gesehen, dass wir in weiten Teilen erfolgreich sind – und dass es noch viele wichtige Aufgaben gibt. Im Rahmen einer Zukunftskonferenz haben wir mit Beteiligung der Experten „in der eigenen Sache“ und den Experten „an der Sache“ die Leitplanken für das künftige Vorgehen zur Umsetzung der UN-BRK erarbeitet und werden diesen Bericht dem Kreistag noch in diesem Sommer – hoffentlich –  zur Entscheidung vorlegen. Danach ist dann der Weg für die Fortsetzung des Inklusionsprozesses gesichert.

 

Redaktion: Wie sieht Ihr „Leben danach“ aus? Können Sie überhaupt loslassen?

Olbrich-Steiner: Ja, das denke ich schon. Ich bin schon dabei, hier aufzuräumen. Meine (Un-) Ordnung kann ich ja niemandem zumuten (lacht!). Und loslassen werde ich auch können. Ich habe stets dafür gesorgt, berufliches Engagement und Privates zu trennen. Zudem weiß ich, dass es junge Leute gibt, die den Job ebenso gut können und das Begonnene weiterführen.

 

Redaktion: Werden Sie sich später noch einmischen?

Olbrich-Steiner: Zunächst mal freue ich mich riesig auf viel freie Zeit mit meiner Familie. Einmischen werde ich mich gerne, da wo es nötig ist. Na klar! Aber nicht mehr in der Verwaltung. Ich werde nicht jeden Montag hier in der Verwaltung auf der Matte stehen und fragen, ob auch ohne mich alles in Ordnung ist. Ich werde neugierig sein, beobachten, was passiert. Und wenn jemand etwas von mir wissen will, eine Frage hat, werde ich helfen, wenn ich kann. Ich will so eine Art „Telefon-Joker“ sein. In unserem Dorf gibt es ein Bürgerforum. Wir sind dabei, einen Dorfladen aufzumachen, um die Nahversorgung wieder zu beleben. Das ist sehr spannend, es gibt unheimlich viel zu organisieren, zu regeln. Und wer ist wieder dabei? Dreimal dürfen Sie raten.

 

Das Gespräch führte Michael Kalthoff-Mahnke.
Fotos: Ramon Wachholz