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Argumente für Eltern mit Behinderung

08.02.2023
Foto von Manuel Salomon

Eltern mit Behinderungen wird oft die Fähigkeit abgesprochen, ihre Kinder erziehen und betreuen zu können. Im Extremfalle führt diese Einschätzung zum Entzug des Sorgerechts und zur Trennung von Kind und Eltern(teil). Zum Teil werden Mutter mit Behinderung und ihr neugeborenes Kind bereits im Krankenhaus getrennt. "Aus einer aktuellen Entscheidung des Oberlandesgerichtes Braunschweig (OLG Braunschweig) lassen sich Argumente gewinnen, um die Rolle von Eltern mit Behinderungen zu stärken", meint Manuel Salomon, Rechtsexperte beim KSL Arnsberg (Foto).

In dieser Entscheidung ging es zwar um einen Sohn mit Behinderung. Bei der Mutter werden lediglich zu erwartende altersbedingte Einschränkungen erwähnt. Dennoch enthält schon die Pressemitteilung zu dieser Entscheidung grundsätzliche Aussagen, die zu Gunsten von Eltern mit Behinderungen übertragbar sind. Gemäß der Pressemitteilung hat das Oberlandesgericht Braunschweig mit Beschluss vom 22.12.2022 der Mutter eines Sohnes mit frühkindlichem Autismus das Sorgerecht belassen und so eine Entscheidung der unteren Instanz korrigiert (OLG Braunschweig, Beschl. v. 22.12.2022 - 2 UF 122/22).

Das Oberlandesgericht sah keine konkrete Kindeswohlgefährdung, im Gegensatz zur Vorinstanz. Deswegen durfte im konkreten Fall das alleinige Sorgerecht der Mutter nicht nach §1666 BGB beschränkt werden. Eine Kindeswohlgefährdung ergebe sich weder aus dem später drohenden altersbedingten Ausfall der  ihren Sohn allein betreuenden Mutter. Noch könne eine solche deswegen angenommen werden, weil die Mutter ihren 14-jährigen Sohn möglicherweise nicht in dem selben Maße fördere, wie dies in einer Einrichtung möglich wäre. Schließlich könne eine "Eingewöhnungsphase" in einer Einrichtung den (teilweisen)  Entzug des Sorgerechts nicht rechtfertigen. Im Gegenteil wäre eine Trennung von Mutter und Sohn dem Kindeswohl aktuell abträglich.

Manuel Salomon kommentiert:

Entscheidungen, ob das Kindeswohl gefährdet ist, und welche Maßnahmen nach den §§1666, 1666a BGB ggf. zu treffen sind, sind immer im Einzelfalle zu treffen. Herauszuheben sind aber die folgenden beiden, allgemeingültigen Punkte der Entscheidung:

Es genügt, dass die Erziehungsleistung der Eltern es gewährleistet, Gefährdungen des (körperlichen, geistigen und seelischen) Kindeswohls zu vermeiden oder abzuwenden Es kommt nicht auf die optimale Förderung an. Das Sorgerecht darf nicht entzogen oder beschränkt werden, weil das Kind in einer anderen Umgebung möglicherweise besser gefördert werden könnte.

Es kommt auf die aktuelle Situation an.

Zukünftig zu erwartende Einschränkungen der Eltern dürfen nicht vorsorglich zu Beschränkungen des Sorgerechts führen.  Wichtig ist das etwa für Elternteile mit fortschreitenden (progredienten) Erkrankungen, soweit diese sich auf die Fähigkeit auswirken könnten, Kinder zu versorgen und zu erziehen.

Weitergehend noch zwei zentrale Hinweise, mit denen sich das Oberlandesgericht Braunschweig im von ihm entschiedenen Fall nicht befassen musste:

Beeinträchtigungsbedingte Schwierigkeiten, die Elternrolle wahrzunehmen, sind zunächst über Assistenzleistungen oder andere angemessene Vorkehrungen auszugleichen (z.B. nach §78 SGB IX). Lesen Sie dazu auch unseren Ratgeber "Eltern mit Behinderung". Erst wenn diese nicht ausreichen, um die Gefährdung des Kindeswohls auszuschließen bzw. abzuwenden, können ggf. gerichtliche Maßnahmen nach §§ 1666 BGB in Betracht kommen. Außerdem muss dafür Sorge getragen werden, dass Eltern in der Lage sind, ihren Kindern die bestmögliche Förderung anzubieten. Dies zielt auf geeignete Strukturen im wohnortnahen Bereich.